Der Gespenstilator

Kinder ins Bett bringen (und sie dort zu lassen) ist nicht immer einfach. Regelmäßig nachts tapste eines unserer Kinder in unser Schlafzimmer, und klagte: „Ich habe Angst, darf ich bei euch schlafen?“ Dann krabbelte das Kind in unser Ehebett, und schon ging es Kind besser. Mir aber nicht!

Denn kaum liegt ein Kind im Ehebett, verwandelt es sich in einen permanent rotierenden Kreiselkompass. So versucht man dann vergeblich einzuschlafen, während einem das Kind in die Seite drückt, gegen den Hals schlägt oder man versehentlich einen Kinderfuß verschluckt.

Schon bald konnte ich linke und rechte Kinderfüße alleine am Geschmack unterscheiden, und es wurde klar: So ging das nicht weiter! Dies führte zu Dialogen wie diesem:

Pusteblumen

„So Kind, schlaf gut. Heute bleibst Du mal in deinem Bett. Mama und Papa sitzen noch im Wohnzimmer.“

„Papa, ich habe aber Angst, dass Gespenster in mein Zimmer kommen.“

„Da kann ich helfen! Ich streue vor deine Tür Anti-Gespenster-Salz. Das mögen Gespenster nicht, da laufen die nicht drüber.“

„Aber Papa, was ist, wenn die Gespenster schweben können…?“

Kein Problem, schnell war eine patentreife Gespensterfalle gebaut – der Gespenstilator! Vor das Zimmer stellte ich einen Ventilator, auf den Einschaltknopf legte ich ein dünnes langes Brett. Wenn sich jetzt Gespenster dem Zimmer näherten, würden sie auf das Brett treten, den Ventilator in Gang setzen und flugs aus dem Fenster geweht werden.

Zugegeben, die Konstruktion wies eine kleinere Inkonsistenz auf bezüglich der notwendigen Interaktion von in der Luft schwebenden Gespenstern mit dem am Boden liegenden Auslöser des Gespenstilators.

Um davon abzulenken stellte ich schnell noch einen Strauß Pusteblumen vor den Ventilator.  Sollte das Gespenst wieder erwarten zu schwer für den Ventilator sein, würde es so mit Löwenzahnsamen bombardiert werden, und wie jeder Mensch weiß, sind Gespenster gegen Pusteblumen stark allergisch (deshalb fliegen die ja auch nur nachts, wenn die Pusteblumen schlafen).

So steht es im Internet, es muss also wahr sein – Julius Cäsar.

Das Kind jedenfalls war zufrieden und schlief selig ein.

Nach einem ruhigen Abend dann wollte auch ich ins Bett und machte mich auf den Weg ins Schlafzimmer, … vorbei am Kinderzimmer.  Als ich auf das Brett trat, hörte ich das Klicken des Gespenstilators.

„Uups!“, dachte ich noch, unmittelbar bevor mir die ersten Pusteblumen ins Gesicht flogen. Wisst ihr übrigens, wer außer Gespenstern auch eine Allergie hat gegen Pusteblumen…?

Während ich mich hustend und mit tränenden Augen im Badezimmer versteckte, hörte ich aus dem Kinderzimmer eine glückliche Tochter rufen: „Papa, Papa! Es hat geklappt! Das Gespenst ist verschwunden. Der Gespenstilator muss es weggepustet haben!“

Vertriebsstrategien

In der folgenden Zeit, entwickelte sich in unserer Familie ein regelrechter Wettbewerb, wer die besten Angstausreden hatte. Bald waren es nicht einfach nur Gespenster, die uns heimsuchten; sondern langbeinige Staubspucker oder hinkende Bettzeugschlürfer, die die Kinder ins Schlafzimmer trieben.

Auch unsere Abwehrstrategien wurden ausgefeilter. Staubspucker bekämpften wir durch Zimmer saugen, weil Staubspucker keine sauberen Zimmer mögen. Das war überaus wirksam: Sobald ein Kind zweimal sein Zimmer saugen musste, kam nie wieder ein Staubspucker vorbei!

Gegen die Bettzeugschlürfer machten wir Knoten in die Ecken der Decke, an denen sich die Unholde verschluckten. Bald schon vertrieben wir jede neue Monsterart durch eine passende „Vertriebsstrategie“.

Mit den Jahren haben wir zahlreiche Bedrohungen und Gefahren besiegt. Nacheinander schlugen wir alle Monster in die Flucht – alle bis auf zwei. Zwei Gegner bleiben bis heute unbezwungen!

Endgegner 1

Kurz vor Mitternacht tapste Kind 2 zu uns ins Schlafzimmer. Mit brüchiger Stimme setzte sie an und weinte bitterlich: „Darf ich bei euch schlafen? Ich hab‘ so Angst! – Ich habe Angst vor … vor … vor Trinkbechern!!“  Bis heute sind die Trinkbecher unbesiegt, denn diese Trinkbecher hatten nicht nur Reißzähne und lange Beine. Nein, sie hatten auch … Strohhalme!

Wer jetzt glaubt, Trinkbecher sind grausam, der sei gewarnt. Es kommt noch schlimmer!

Endgegner 2

Wieder Schritte auf dem Flur. Tochter 4 schlurft ins Schlafzimmer. „Na, Kind, wovor hast du Angst?“, frage ich.

„Vor gar nichts!“, schnaubte das Kind, warf sich in unser Ehebett. Noch in der gleichen Sekunde fing sie an zu schnarchen und gab bis zum Morgen kein weiteres Wort von sich.

Rückwirkend betrachtet haben diese Gefahren eine nahezu philosophische Dimension:

Kinder, hütet euch vor zwei Dingen: Vor zu viel Trinkbechern und vor gar nichts!

Epilog

All das ist schon länger her, und das nächtliche Spiel läuft heute anders herum: Meine Töchter – nunmehr Teenager – bringen die ersten Freunde mit nach Hause. Jetzt tapse ich nachts in Ihr Zimmer, um zu jammern: „Kann ich bitte bei euch schlafen? Jetzt habe ich Angst!“

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1 thought on “Der Gespenstilator

  1. da wo Gespenster so liebevoll in ihre Schranken verwiesen werden und alle Angstgründe sich in Wölkchen über einem kuscheligen Bett in Elternnähe auflösen,
    da möchte man noch mal Kleinkind sein!

    Tammo

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