Das Geschenk – und viele Toiletten.

Für den Viva con Agua Slam in Göttingen zum Welt-Toiletten-Tag habe ich einen Text geschrieben.  Viel Spaß damit…

Meine Kinder konnten kaum laufen, da hatten sie schon gelernt, wie man einen Gartenschlauch aufdreht und damit die nähere Umgebung unter Wasser setzt.  Wie man aber eine Terrassentür hinter sich zumacht haben sie indes bis heute nicht begriffen, was in Verbindung mit dem Gartenschlauch schon mal zu unerwünschten Ergebnissen führt. Doch so unbekümmert aufzuwachsen ist ein Geschenk!

Während meine Kinder nämlich mit dem Gartenschlauch ihre erste Wasserrutsche bauten zeigte eine Statistik von statista.de: Fast 2,7 Mrd. Menschen haben keinen Zugang zu sanitären Anlagen. Das ist unvorstellbar. Und wenn ich sage „unvorstellbar“, meine ich damit, dass ein solches Konzept in meinem Weltbild bis vor kurzem überhaupt nicht vorkam.

„Kein Zugang zu sanitären Anlagen“, das gab es bei uns höchstens im Sommer, wenn die Kinder vom Spielen im Wald zurückkamen (der mit diesen morastigen Matsche-Tümpel). „Stopp!“, hieß es dann: „So gehst Du mir nicht ins Haus. Ab unter den Rasensprenger mit Dir! Ist mir egal, ob Du Pipi musst, erst wirst Du abgekärchert! Jetzt hol den Frosch aus deiner Tasche und spuck die Kaulquappen aus!“ – Aber das ist aus einem anderen Text und ist auch schon ein paar Jahre her.

„Kein Zugang zu sanitären Anlagen“ Das heißt bei uns heute: Tochter 1 blockiert seit zwei Stunden das Badezimmer, um sich zu schminken, und im Gästeklo ist das Klopapier alle. So unbekümmert aufzuwachsen ist ein Geschenk!

Am 19.11. war Welttoilettentag. In unserem Familienalbum gibt es zu dem Thema lediglich die üblichen Fotos von Kindern in Windeln, Kinder auf dem Töpfchen, Kind zum ersten Mal auf der Toilette und natürlich auch Variationen von „Kind wäre besser mal früher auf Toilette gegangen“. Das Highlight der Sammlung sind die Bilder von Tochter Nummer 4: Denn Nummer 4 saß damals weniger auf der Toilette, sondern meistens in der Toilette. Beide Beine komplett in der Schüssel versenkt, lacht und strahlt sie aus der Keramik heraus direkt in die Kamera, während sie mit der Klobrille winkt. Mit dem Motiv gibt es in unseren Alben nicht nur ein Bild, sondern eine ganze Fotoserie in verschiedenen Klamotten zu verschiedenen Jahreszeiten. Immer wieder kletterte die Kleine in die Keramik und fühlte sich dabei offensichtlich pudelwohl. So unbekümmert aufzuwachsen ist ein Geschenk!

Zu dieser Szene gibt es sogar ein Video, das zeigt, wie die Tochter in der Toilette hockt, während sie muntere Lieder quäkt und sich selbst im Takt mit der klappernden Klobrille begleitet. Das beste an dem Video ist jedoch nicht das Motiv, sondern die Tonspur. Nicht wegen der DSDS-Vorrunden-kompatiblen Sangeskünste von Nummer 4, sondern weil Frau bis heute nicht verstanden hat, dass die Kamera nicht nur den Ton vor der Linse aufnimmt, sondern auch jedes gesprochene Wort hinter der Linse.

So sieht man auf dem Video unsere Tochter spielend und singend in der Toilettenschüssel, während Frau die Kamera hält und dabei offensichtlich mit ihrer Schwester telefoniert (Ja, das war in einer Zeit, als man mit Telefonen telefoniert hat und zum Fotografieren oder gar Filmen ein eigenständiges Gerät besessen hat!). Im Vordergrund kräht das Kind, übt Klodeckelschlagen, und im Hintergrund tauscht Frau aktuelle Kochrezepte mir ihrer Schwester aus: „Nein, musst du nicht separat anbraten, kannst Du direkt mit in den Topf dazu geben. … hmm … Mit Koriander ist es besonders lecker, ja…“

Das Video endet nach etwa zwei Minuten mit den Worten von Frau: „Ich muss mal Schluss machen. Ich glaube meine Tochter hat nasse Füße.“ So unbekümmert zu leben ist ein Geschenk!

Am 19. November war Welttoilettentag und immer noch haben viele Menschen keine „sanitäre Grundversorgung“. Doch jedes Jahr geht es aufwärts, langsam aber stetig. Jedes Jahr wächst die Zahl derer, die über benutzbare Toiletten und/oder fließend Wasser verfügen, in den Städten liegt dieser Anteil weltweit mittlerweile bei 82%.

Auch wenn die täglichen Nachrichten uns den Blick darauf verstellen, insgesamt geht es der Weltbevölkerung heute besser als je zuvor! Das übersehen wir gerne, denn wir beschäftigen wir uns lieber mit lokalen Katastrophen als mit weltweiten Aufwärtstrends. Schlagzeilen zu Unglücken, Fehlern oder Katastrophen ziehen uns einfach magisch an. Seien wir ehrlich: Wer klickt schon auf Artikel mit der Überschrift: „Es wird besser“? Und wenn doch mal eine Zeitung titelt „Es geht bergauf“ dann lautet der Untertitel vermutlich „Bittere Zeiten für Radfahrer“.

Klar, es noch viel zu tun, aber insgesamt wird die Welt mit jedem Jahr besser! Nehmt euch etwas Zeit und schaut auf die Statistiken von https://www.gapminder.org/. Dort zeigen Ola, Anna und bis zu seinem Tod auch Hans Rosling: Vieles entwickelt sich in den letzten Jahrzehnten zum Guten, manchmal schnell, manchmal langsam, aber immer Stück für Stück. Das glaubst du nicht? Dann mach den Gapminder-Test.

Darum lasst uns auch weiter daran arbeiten, die Welt zu verbessern. Jeder nach seinen Möglichkeiten, alle miteinander und immer wieder Stück für Stück.  Damit in den kommenden Jahren noch viel mehr Menschen mit Toiletten und Wasser genauso unbekümmert umgehen können wie unsere Kinder. Denn: So unbekümmert zu aufzuwachsen ist ein

Geschenk!Dieser Text wurd inspiriert – aber nicht gesponsort durch das Buch Factfulness von Hans Rosling:

(englisch)     (deutsch)

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